Tag 11 – Von Szrenica nach Horní Malá Úpa

30,2km – 1101m hoch – 1396m wieder runter

Den Wecker hatte ich auf 5 Uhr gestellt. 5:02 ist offizieller Sonnenaufgang auf dem Reifträger. Leider ist beim Blick aus dem Fenster nur weiße Suppe zu sehen. Ich drehe mich also nochmal im Bett rum, Frühstück gibts eh erst ab acht. Schade. Einen Sonnenaufgang hätte ich mir hier sehr gewünscht.

In der Kantine mache ich mich wieder mit Händen und Füßen verständlich, komme so zu Kaffee und Rührei mit Brot. Nach dem Frühstück ist draußen das gleiche Bild: Wolken und leichter Regen.

Ich laufe trotzdem los. Ich folge immer den Grenzsteinen und damit auch dem Weg der polnisch-tschechischen Freundschaft. Der verdient seinen Namen heute ja wieder und kann (nach Corona) wieder frei begangen werden. Von einer Grenze zeugen nur die vielen Grenz-Markierungen. Innerlich danke ich den Politikern der letzten Jahrzehnte, die das heutige Europa, die deutsche Wiedervereinigung und in Tschechien die Samtene Revolution ermöglicht haben! Wir müssen aufpassen, dass dieses zerbrechliche Gebilde nicht wieder zerstört wird.

Obwohl kaum Aussicht im Nebel ist, bietet der Weg doch einige Sehenswürdigkeiten. Ich passiere die Trzy Świnki (Sausteine). Danach kommen die Twarożnik (Quarksteine) mit dem merkwürdig platzierten Grenzstein oben auf den Felsen. Sie markieren den Beginn des Freundschaftswegs, die Quarksteine selbst haben sich Polen und Tschechen offenbar brüderlich geteilt.

Im Nebel taucht vor mir die Schneegrubenbaude auf. Trotz des schlechten Wetters wird hier gebaut. Von den Schneegruben sehe ich nichts. Ich laufe weiter bis zum Vysoké kolo (Hohes Rad, 1509m) das man jetzt nicht mehr betreten darf. Der Weg führt drumherum, auf teils recht abenteuerlich gelegten Wegsteinen. Rechts und links von mir sind tolle Aussichten, zumindest laut Wegbeschreibung. Ich kann leider nur 50m weit sehen. Den Weg zu den Aussichtspunkten spare ich mir.

Kurz nach dem Velký Šišák (Große Sturmhaube, 1424m) mache ich an einer winzigen Schutzhütte halt. Hier finde ich nicht nur deutsche Schmierereien an der Wand sondern treffe auch auf Anna aus Prag. Sie umrundet Tschechien zu Fuß, immer in Grenznähe. Anfang Mai ist sie auf der Schneekoppe gestartet und will heute dort ihre Reise beenden. 2100 km ist sie gelaufen, mit Zelt und Gepäck. Das sind im DURCHSCHNITT 28km. Jeden Tag. Klar, dass ich ihren Zieleinlauf miterleben will, wir laufen also die nächsten 14 km gemeinsam. Nachdem ich erfahre, dass sie ein Jahr in Amerika verbracht hat wird die Konversation, umgestellt auf Englisch, auch flüssig. Wir reden über Gott und die Welt und der Regen macht plötzlich nix mehr aus.

Kurz vorm schlesischen Sattel (Sleské sedlo, ) reist die Wolkendecke auf und gibt den Blick frei. Nach unten und auch zur Schneekoppe. Fantastisch.

Der Weg wird hier immer breiter. Die Zahl der Leute hält sich aber in Grenzen, liegt wohl am Wetter. Dann folgt der steile Anstieg zur Schneekoppe. Als wir oben sind, ist wieder alles dick in Wolken gehüllt. Schöne Zielfotos für Anna werden also nix. Schade. Trotzdem ist es ein sehr schöner Moment.

Anne erzählt mir, dass bei ihrem Start im Mai hier Schneesturm war und sie ist mit dem jetzigen Wetter plötzlich zufrieden. Damals war sie ohnehin froh, dass Anfang Mai überhaupt wieder eine Anreise zur Schneekoppe möglich war. Kommt halt immer auf die Sichtweise an.

Wir verabschieden uns, sie will jetzt nach Spindlermühlen und morgen mit dem Bus nach Hause nach Prag, dann in die Badewanne und dann eine Woche gar nichts machen. Würde gerne wissen, was draus geworden ist.

Und ich brauch noch eine Unterkunft für heute. Ich habe bis jetzt alle Bauden in der Umgebung abtelefoniert oder beim Vorbeigehen befragt, und stets nur Kopfschütteln wegen einem Bett bekommen. Ich hab schon 22 km weg, Malá Úpa sind nur nochmal 6 mehr. Als entscheide ich mich zur Flucht nach vorn.

Der Freundschaftsweg ab der Schneekoppe ist kunstvoll angelegt, läuft sich aber ziemlich anstrengend. Ich passiere die Jelenka Bouda (Emmaquellenbaude), die mir am Telefon schon wegen einem Zimmer abgesagt hatte. Kurz vor Horní Malá Úpa (Ober-Kleinaupa) kommt die Sonne wieder raus und die Wolken verschwinden als wenn nichts gewesen wäre.

Ich nehme mir ein Hotelzimmer und sehe vom Zimmerfenster aus direkt die Schneekoppe. Wolkenfrei und schön in der Abendsonne. Warum bin ich jetzt nicht dort oben?

In der Hoffnung auf einen Sonnenuntergang ziehe ich nach dem Abendbrot ohne Gepäck nochmal los auf den Čelo (Kammsteig, 1269m). Leider verhindern hier aber die Bäume die Sicht. Der Rückblich auf Horní Malá Úpa ist aber schön und an einer Stelle sieht man die Gebäude auf der Schneekoppe in der Sonne leuchten.

Letztlich war der Tag trotz des Regens einer der besten. Anna hat meinen Tag und auch die Wanderung definitiv bereichert. Ich bin über 30km gelaufen und habe quasi den kompletten Kammweg durchs Riesengebirge an einem Tag geschafft. Leider ohne die erhofften Aussichten. Aber der nächste Tag lässt mir ja noch Spielraum. Fazit des Tages: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.